Annette Kinitz, die leitende Kuratorin der Stiftung Kunst und Natur, holt mich an der Endstation einer Münchner U-Bahn ab. Auf der Suche nach unserem Treffpunkt fällt mir auf, dass in dieser Gegend einige Straßen Schweizer Namen haben – im Café, in dem ich in der Nähe der Busstation, an der wir abgemacht haben warte, sitzt am Nebentisch ein junger Mann in Tarnkleidung und spielt ein Egoshooter-Game auf seinem Handy. Die lauten, digitalen Zurufe und Schiessgeräusche des Spiels hallen über den Platz und lassen mich schnell wieder aus dem Café verschwinden.
Wir fahren durch weite Waldgebiete, die sich mit Wiesen und Mooren abwechseln. Im Gut Karpfsee beim Langen Haus angekommen, steige ich mit dem Biologen Konstantin Reetz in ein Geländeauto, wir besichtigen die Landschaft, in der meine Recorder platziert werden sollen. Im dichten Gestrüpp waten wir durch den Sumpfboden, überspringen Entwässerungskanäle und kreuzen mehrere Moore. Dort ist es sehr still; es sind nur wenige Vögel und praktisch kein menschlicher Lärm zu hören.

Die Moore sind in der Landschaft selbst von der Kuppe des Guts Karpfsee nicht direkt zu sehen, sie sind alle von Fichtenforsten (Picea abies) umgeben. Man hat die Bäume am Rand der Moore angepflanzt, wo sie bessere Wachstumsbedingungen haben als in den dauernassen nähr- und sauerstoffarmen Moorböden. Auf moosbewachsenem Boden mit Heidelbeersträuchern (Vaccinium myrtillus) treten wir in den Wald, durchqueren ihn, bis sich der Rand des Moors durch die sich verändernde Vegetation bemerkbar macht. Hier geht der Fichtenwald in lichten Birkenbruchwald, wie er für Moorränder typisch ist, über. Die Fichten mischen sich mit Moorbirken (Betula pubescens s. l.) und ersten Moor-Bergkiefern, den so genannten Moor-Spirken (Pinus x rotundata).

Diese kommen nur in den alpennahen «Spirkenmooren» vor und sind eine Subspezies der Bergkiefer (Pinus mugo), die sich an die feuchten und nährstoffarmen Bedingungen im Moor angepasst hat.
Die feuchte Landschaft mit ihren vielen Seen und Mooren im Süden Münchens ist von den vordringenden und sich zurückziehenden Gletschern der Alpen geprägt worden. Viele Seen und Teiche sind nach dem Abschmelzen von Toteisblöcken geblieben, mit der Zeit verlandet und zu Mooren geworden. Die Moore werden durch sich stauendes Regenwasser und einen hohen Grundwasserspiegel gespiesen, sie sind nährstoffarme und saure Lebensräume mit einer Flora und Fauna, die sich an diese extremen Lebensbedingungen angepasst hat. Zentrales Element der Hochmoore ist ihre über Jahrhunderte bis Jahrtausende gewachsene Moosschicht (Sphagnum spec.), die den Torf bildet. Moore waren durch Torfabbau und sind immer noch durch Düngemitteleinträge aus der umgebenden Landwirtschaft stark gefährdet – lebende und wachsende Hoch- oder Regenmoore gibt es heute kaum noch. Auch der Klimawandel setzt ihnen zu, lange Trockenperioden im Sommer lassen sie trockenfallen und die Pflanzen sterben ab.

Auch den Fichten an den Moorrändern sieht man die Trockenheit der letzten Jahre an. Der Blick muss nicht weit schweifen, um abgestorbene Bäume und Borkenkäfernester auszumachen. Die Landschaft beginnt sich zu verändern. Konstantin Reetz fährt mich noch zu drei anderen, für diese Landschaft typischen Biotopen – es sind Nasswiesen und ein flaches Tal, das Haselbachtal. Ein dunkelbraunes Flüsschen mäandriert durch die Wiesenlandschaft, an deren Rand im Schatten des Waldes kleine Pferde grasen. Wir steigen bei einer Furth aus, er erzählt mir, dass verschiedene Gebiete auf dem Gelände der Stiftung renaturiert werden – das hat hier mit dem Haselbach begonnen, dem man einen natürlichen Verlauf gegeben hat und die Wiesen nur noch extensiv beweidet. Das trifft auch auf die anderen zwei Flächen zu – lange Zeit wurde hier das Gras geschnitten und der Boden entwässert und gedüngt – unübersehbar überall die monoton grünen Teppichflächen, die vielerorts die Landschaft Bayerns prägen. Zwei Wiesen werden nun sich selber überlassen und die Entwässerung aufgehoben. Ganz neu ist der Permakultur-Garten beim Gut Nantesbuch, der erst seit wenigen Jahren bewirtschaftet wird.

Unter unseren Stiefeln schmatzt der durchnässte Boden – niemals könnte man hier mit Wanderschuhen durchgehen und trockene Füße behalten. Zurück im Langen Haus wählen wir über eine Karte gebeugt die Standorte für die Recorder aus. Sie sollen überall da platziert werden, wo in den nächsten Jahren Veränderungen in der Landschaft, in der Soundscape erwartet werden. Sei dies eine möglicherweise steigende Biodiversität in den renaturierten Gebieten oder negative Veränderungen in der Fauna und Flora an den von zunehmender Trockenheit betroffenen Orten. Und wie so oft zahlt es sich aus, ohne konkrete Vorstellungen an einen neuen Ort zu kommen und die Projektidee aus den Gegebenheiten und Fragestellungen in einer Landschaft heraus zu entwickeln.